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Rede Dr. Hoeps

 

Dr. Thomas Hoeps

 

Was die Fußgängerzonenidee nie zustande gebracht hat

 

Zu Rüdiger Kramers Ausstellung „Fußgängerzonen – Bilder aus Städten“.

Volkshochschule Mönchengladbach, 17.02. – 20.05.2011

 

Wer über die Fotografien von Rüdiger Kramer spricht, gibt zwangsläufig auch ein medizinisches Bulletin über den öffentlichen Raum und unser Leben in ihm ab. Denn seine Sujets findet der Künstler zumeist in einer der eigenartigsten Erfindungen der Stadtplanung: der Fußgängerzone.

Es ist der genaue Blick seiner Arbeiten, der uns erlaubt und von uns fordert, über diese Orte – oder muss man nicht eher sagen: Nicht-Orte ? – nachzudenken. Und wenn ich das jetzt tue, dann geschieht dies stets im Rückbezug auf Rüdiger Kramers Fotografien.

 

Wenn man über die Unwirtlichkeit der Städte redet, sind die Schuldigen sofort entdeckt: die Stadtplaner. Natürlich stimmt das immer nur halb, zumal es doch in der speziellen Angelegenheit „Fußgängerzone“ einen entscheidenden mildernden Umstand gibt: Denn der Deutsche an sich entspricht bis heute ja leider eher selten dem Typus des beobachtenden Müßiggängers und bringt insofern auch meist nicht die nötigen Eigenschaften für ein Dasein als Flaneur mit. Auch lebt er sein Leben seltenst auf offener Straße, sondern am liebsten im Schutz der eigenen vier Wände.

 Wie bekommt man dann aber Leben in die neuen verkehrsbefriedeten Aufenthaltszonen? Es schien in den 50er Jahren, vor allem aber in den 70er Jahren eine gar nicht so unclevere Idee, die dem Müßiggang entfremdeten Bürger zunächst mal mit Hilfe einer Tätigkeit zum Flanieren zu bringen: dem Konsumieren.

 

Allerdings hatte diese gleich mehrere Haken:

Erster Haken: Auch bei einer paradoxen Intervention wie dieser ist der fundamentale Widerspruch zwischen Müßiggang und Aktivität einfach nicht wegzuschwindeln. Beim Müßiggang geht es darum, einfach da zu sein - bei der Aktion um das, was man wie mit welchem Ziel tut. Wenn Aktivität die zentrale Motivation für den Aufenthalt in der Fußgängerzone ist, passt der, der gar nichts tun will, also logischerweise nicht in die Fußgängerzone. Damit schließt diese Idee der Fußgängerzone gerade die (wenigen) aus, die ihre perfekten Nutzer wären. So kann die Fußgängerzone niemals Piazza, Versammlungsstätte sein, sondern immer nur ein Transitraum.

 Deswegen sehen auf den Fotos Rüdiger Kramers gerade die wenigen nicht in Bewegung befindlichen Menschen so verloren aus. Als warteten sie auf irgendetwas, was nicht kommen wird. Als hätten sie keine Zukunft, weil sie keinem Ziel zustreben. Und das in einer Umgebung, zu der sie nicht passen. Irgendwo am fernsten Horizont winkt jemand, der Becketts Godot sein könnte.

 Zweiter Haken: Der über den Einkaufszweck definierte öffentliche Raum verliert unmittelbar nach Geschäftsschluss seine Funktion und wird quasi zur No-Go-Area (auch ohne Verbrechen). Großartig zeigt das Kramers Bild von den drei Menschen, die nahezu fluchtartig zum Ladenschluss durch die Kaufhaustür drängen – als drohte eine Polizeisperrstunde mit Strafmaßnahmen. Eine Stunde später wird hier dann alles noch trostloser als ohnehin schon sein. Denn das einzig wirklich Lebendige, unberechenbar Vitale an dieser Zone ist dann verschwunden: der Mensch. Das Ergebnis ist hier in einigen Fotografien zu betrachten.

Dritter Haken: Diese sinngebende Aktivität ist erbarmungslos mit der Verfügbarkeit von Besitz und Ressourcen verbunden. Wer kein Geld hat, sondern nur Zeit (kurioserweise ja eine wesentliche Voraussetzung für den Müßiggang), stört. Passt nicht hierher. Hält den Fluss auf. Das sind die Leute vom berühmten Rand der Gesellschaft. Es gibt für sie aber nur das Zentrum und also die Fußgängerzone als Ort, an dem sie der Isolation des Außerhalb-der-ordentlichen-Gesellschaft-Stehens zumindest scheinbar entkommen und die anderen Außerhalb-Stehenden treffen können.

 Wegen ihnen werden die Sitzmöbel, die eigentlich die Aufenthaltsqualität und –dauer steigern sollen, wieder abgebaut. Dann bleiben nur noch Gastronomiebetriebe, in denen man mit einem Getränk oder Essen das Eintrittsticket zum Verweilendürfen lösen kann. Was für ungemütliche Orte das dann unter Umständen sind, zeigt hier ein Bild Kramers auf geradezu grausliche Weise: Ein eingekesseltes Sitzen unterm WEST-Zigarettenschirm, gefangen in einer Betontreppenkaskade, darunter die vergitterte Zufahrt zu einer privaten Tiefgarage. Santé!

 Von hier aus ist es nur ein Schritt weiter zu den Angst-Räumen auf Kramers zwei Fotos von alten Menschen auf verwinkelten Fußgängerbrücken-Treppen – man muss kein Krimifan sein, um zu glauben, dass die beiden hinter der nächsten Ecke überfallen werden.

 

Die neuere Stadtplanung versucht glücklicherweise den Fehler der Trennung von Wohnen und Leben, Einkaufen und Arbeiten auszubügeln. Zurück in die Innenstadt, das ist auch in Mönchengladbach glücklicherweise eines der zentralen Ziele. Wenn man die Bilder Kramers betrachtet, weiß man allerdings auch: Eine menschenfreundlichere Gestaltung des öffentlichen Raums wird eine Aufgabe von geradezu herkulinischem Ausmaß sein.

 

Jetzt habe ich viel über die Sujets von Kramers Fotografien gesprochen. Sicher zu Recht: Denn diese Bilder haben einen stark dokumentarischen Charakter. Aber es sind auch die Bilder eines Künstlers.

Rüdiger Kramer, der an der Kunstakademie bei Beuys und Sackenheim studierte und dort Meisterschüler war, ist hauptsächlich ein Zeichner und „erst“ seit 2002 mit der Digitalphotographie befasst.

 In den Fotografien aber zeigt sich der besondere Blick des erfahrenen, präzisen Zeichners. Seine besondere Wahrnehmungsqualität erkennt man in der Wahl der Perspektive und des Bildausschnitts.

Zudem hat er einen großen Sinn für die vielschichtige Dialektik von Gegensatzpaaren: Als Beleg diene etwa das Foto von der Kirche mit der Tiefgarage – beides sakrale Orte, Aufbewahrungsorte des – in einem Fall freilich ziemlich profanen – Allerheiligsten, und beides zugleich auch Orte der Leere (wobei hier die Differenz darin besteht, dass die Lehre des einen Orts Selbstbesinnung ermöglicht, die des anderen alleine Verlorenheit verursacht).

Ein schönes, humorvolles Gegensatzpaar bietet auch das Foto von der verpackungsintensiven Dessouswerbung und des daneben auf den nackten Text reduzierten, auf die Wand gebrachten Versprechens „Jesus lebt.“ (Diesen Sinn für Humor findet man übrigens auch in dem schönen Foto, auf dem sich Rüdiger Kramer und seine Frau in einen im Schaufenster ausgestellten Bilderrahmen hineingespiegelt fotografierten.)

 Ein weiterer künstlerischer Aspekt erwächst aus Rüdiger Kramers Faszination für das Licht und die Farbe. Ein Licht, das wie etwas ganz Materielles, Greifbares erscheint, und ein Licht, das Farbe und Farben schafft. Immer wieder finden sich Lichtflecken, Linien, Spiegelungen in diesen Fotografien. Und trotz aller Gegenständlichkeit seiner Sujets, erscheint manches Foto als beinah abstrakte Farbfeldkomposition.

 Was mir besonders gut an diesen Fotografien gefällt, ist aber, dass man nie den Eindruck bekommt, die Harmonie und innere Logik der ästhetischen Form versöhnte uns mit der Unwirtlichkeit des Sujets. Hier verführt nichts zu dem falschen Schluss, so eine Fußgängerzone bei Nacht und rechtem Licht und entsprechender Perspektive wäre doch „eigentlich“ und „irgendwie“ eine Schönheit.

Was Rüdiger Kramer vielmehr zu vermitteln gelingt, ist, dass es die unverrückbare Schönheit der Farbe und des Lichts gibt. Und dass man die tatsächlich immer wieder und überall vorfinden kann, selbst in der Fußgängerzone oder vielleicht besonders inmitten der Häßlichkeit einer entleerten Fußgängerzone.

 

So sind die Fotografien vor allem ein Plädoyer. Ein Aufruf, genau hinzuschauen und sich Zeit zu nehmen für die Wahrnehmung dieses Besonderen. Und wenn wir das annehmen und tun, dann werden wir doch noch zu den Flaneuren, die die Fußgängerzonenidee leider nie zustande gebracht hat und vermutlich leider nie zustande bringen wird.

 

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